Der Begriff ‘Satsang’ geht auf das altindische Sanskrit zurück und bedeutet hier ‘gemeinsame Wahrheitssuche’, wie sie entsprechend der indischen Philosophie seit mehr als drei Jahrtausenden praktiziert wird.
Insbesondere meint ‘Satsang’ ein Zusammentreffen mit einem spirituellen Lehrer, der zur tiefsten Wahrheit finden konnte, was heute immer mehr auch als Erwachen bezeichnet wird. Das Wesen dieser Erfahrung besteht unter anderem darin, dass sich die Vorstellung von einem Regie führenden Ich auflöst. Der Wegfall dieser Ich- haften Identität ermöglicht dann den Zugang zu viel tiefer liegenden Einsichten und zu einem umfassenderen Verständnis von der menschlichen Natur. Die Alltagswahrnehmung, in der einzelne, voneinander getrennte Ichs über einen eigenen, ‘freien’ Willen verfügen können, hat keine Gültigkeit mehr. An Stelle ihrer breitet sich eine mutige, hingebungsvolle Präsenz aus, in der Gegensätze wie Richtig und Falsch, Schuld und Verdienst, Gut und Böse als völlig gleichrangig erkannt und dadurch in ihrer bisherigen Bedeutung aufgehoben sind.
Diese Erfahrung ist mir 2008 während des Vortrags einer Traumatherapeutin zuteil geworden. Aus einem Grunde, den ich erst Jahre später verstehen konnte, kam es da in mir plötzlich zu einem kompletten Anhalten und damit zu der Möglichkeit, die ganze Tiefe meiner inneren Struktur zu erfahren und so auch die Essenz meines emotionalen und mentalen Seins vollständig zu verstehen. An diesem Tag hat mein Leben für mich neu begonnen. Die Möglichkeit, zwischen Vorstellung und ‘Wirk-lichkeit’ zu unterscheiden brachte eine Befreiung mit sich, die manche für übermenschlich halten. Ich würde es aber eher Mensch-Werdung nennen, gegenüber dem früheren Zustand, der ein dauernder Versuch war, sein Leben in den Griff zu bekommen...
Es war mir damals nicht möglich, diese Erfahrung mit Anderen zu teilen und auch im folgenden Philosophiestudium gelang mir dies nicht - obwohl doch etliche Philosophen gerade eben von der Möglichkeit dieser Erfahrung schrieben. Selbst die Professoren schienen zwar philosophiegeschichtliche Experten zu sein, zu dieser Weisheit selbst hatten sie offenbar keinen Zugang.
Ein paar Jahre später ändert sich dies und mittlerweile ist es zur Selbstverständlichkeit geworden, über das aufgewachte Sein zu sprechen. Das rasant zunehmende Aufwachen scheint zur stillen Revolution zu werden und so ist der Austausch und die gegenseitige Unterstützung immer mehr zur Normalität geworden. Der Prozess und die innere Struktur des Aufwachens ist schon so gut erforscht und verstanden, dass dieses Thema immer mehr auch in Fachkreisen der klinischen Psychiatrie Einzug findet. Während früher Erwachenserfahrungen (oder Teilerfahrungen davon) oft fehlgedeutet und wegtherapiert wurden, kann heute ein zunehmender Kreis Aufgeklärter die Betroffenen angemessen begleiten.
Mir ist es ein tiefes Bedürfnis, Andere in ihrer Entwicklung zu dieser Erfahrung zu unterstützen. Die Übungsabende am Dienstag sind streng genommen Satsang.
Herzlichst, Euer Werner Hör
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